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„Mit erweiterten Fruchtfolgen brauch' ich keine Pestizide!“

Joachim Bienstein betreibt mit seiner Familie einen bäuerlichen Betrieb mit Schwerpunkt Ackerbau und Hühnerhaltung in Martensdorf bei Wismar. Seine Hühner hält er in einem mobilen Stall im Freien. Antibiotika kommt dem Bauern ebenso wenig auf den Hof wie Gentechnik, flächendeckenden Pestizideinsatz lehnt er kategorisch ab. Auf seinen 320 Hektar bekämpft er Unkraut vor allem mit deutlich erweiterten Fruchtfolgen. Im Januar wird Joachim, zusammen mit den BerufskollegInnen aus ganz Deutschland, zum vierten Mal die Demonstration mit seinem Traktor anführen. Wir haben ihn zu seiner Arbeit und seiner politischen Motivation befragt.

 

Ihr wirtschaftet ohne Gentechnik, seid ihr also ein Bio-Betrieb?

Wir arbeiten aus Überzeugung ohne Gentechnik, aber unser Betrieb ist noch konventionell. Wobei man sagen muss, dass unsere Tierhaltung mindestens auf einem Bio-Niveau ist, teilweise sogar besser. 

Habt ihr Pläne auf bio umzustellen?

Die konventionelle Landwirtschaft stößt an ihre Grenzen. Das merkt jeder Landwirt, der genau hinschaut. Die Resistenzen gegenüber Pflanzenschutzmitteln werden immer größer und die industrielle Landwirtschaft produziert zahlreiche Umweltprobleme. Auch wenn bei Bio-Betrieben nicht alles toll ist, gibt es da natürlich weniger Problem als in einer intensiven, konventionellen Landwirtschaft. Deswegen denken wir auch darüber nach umzustellen. Aber das muss sich natürlich wirtschaftlich darstellen lassen und das ist in einer Gegend wie hier nicht ganz einfach. Für diesen Schritt braucht man eine Menge Mut. 

Wie sieht die ideale Landwirtschaft für dich aus?

Mein Ideal ist eine Landwirtschaft mit ökologischen Grundzügen, in der Pflanzenschutzmittel als absolute Notmaßnahme erlaubt sind. Aber das was der Großteil der konventionellen Bauern jetzt macht, also standardmäßiger und flächendeckender Pestizideinsatz, hat zu den aktuellen Problemen geführt. Davon müssen wir weg.

Mit seinem Votum hat Landwirtschaftsminister Schmidt kürzlich für eine weitere Zulassung von Glyphosat in der EU gesorgt. Auf dem Bauerntag im Juni sprach sich Angela Merkel noch für Glyphosat aus. Glaubst du, das war ein Alleingang von Schmidt?

Frau Merkel ist eine erklärte Verfechterin der industriellen Landwirtschaft, das hat sie hier in Ostdeutschland mehrfach gesagt. Dafür steht sie und da macht sie auch keinen Hehl draus. Insofern muss man das so einordnen. Glyphosat ist nun mal in den industriellen Großbetrieben ein Hilfsmittel, das die Produktion sehr preiswert macht. Da passt es natürlich ins Bild, dass Frau Merkel so einen Wirkstoff behalten will. Daher glaube ich auch, dass das abgestimmt war.

Was ist deine Meinung zur aktuellen Glyphosat-Diskussion?

Ich finde, die Diskussion wird von allen Seiten unsachlich geführt. Die einen wollen Glyphosat als Standardmittel behalten, die anderen verteufeln es als das Böseste, was die Welt je gesehen hat. Beides ist falsch. Aber wahrscheinlich werden wir nicht zu einer sachlichen Debatte zu dem Thema kommen. Das scheint nicht möglich zu sein und der Wille scheint nicht vorhanden.

Wie gehst du denn mit Unkraut um?

Ich mache seit einigen Jahren eine deutlich erweiterte Fruchtfolge, auch schon bevor das gefördert wurde. Wenn ich wie viele Kollegen nur Weizen, Raps oder Mais anbaue, dann bekomme ich natürlich Probleme mit Unkraut wie dem Ackerfuchsschwanz. Ich baue daher abwechselnd Erbsen, Bohnen und Hafer an und sähe Sommerfrüchte. Das hilft ungemein. Erweiterte Fruchtfolgen sind das Geheimrezept der Bio-Betriebe und wenn das alle Betriebe machen würden, dann könnte man sich sehr viele Pflanzenschutzmittel sparen.

Seit der Wende wurden in den ostdeutschen Bundesländern hunderttausende Hektar Land an InvestorInnen vergeben. Was müsste passieren, damit wir zu einer gerechteren Bodenpolitik kommen? 

Die maßgeschneiderten Subventionen für Großbetriebe müssen wegfallen. Dann erledigen sich diese Strukturen von alleine. Bei uns in Mecklenburg-Vorpommern sind riesige Flächen konsequent an die großen Industriestrukturen gegangen. Die Kleinen werden wie in anderen Branchen auch von den Großen geschluckt. Da kommen Unternehmen aus der Tabak-, Müll-, Chemiebranche und kaufen einen Großbetrieb nach dem anderen.

Wir demonstrieren ja in diesem Jahr zur internationalen Agrarministerkonferenz und setzen uns für die globale Agrarwende ein. Warum ist es wichtig, die deutsche Landwirtschaft in Deutschland einem größeren Rahmen zu betrachten?

Im Weltagrarbericht, der die landwirtschaftliche Situation in vielen Ländern der Welt beschreibt, wird die bäuerliche Perspektive bestätigt: Die industriellen Agrarstrukturen schaffen mehr Probleme als Lösungen. Die nachhaltige Landwirtschaft ist nur mit bäuerlichen Strukturen zu erreichen – und zwar weltweit. Daher ist es ganz wichtig, die Landwirtschaft im globalen Kontext zu betrachten und international zusammenzuarbeiten.

Du bist im Januar zum vierten Mal mit dem Trecker dabei. Wie lange brauchst du bis nach Berlin?

Das geht bei mir relativ schnell, weil ich einen Schnellläufer habe. In drei, vier Stunden bin ich in Berlin. Aber ich bewundere alle, die Tag und Nacht fahren, um an der Demo teilzunehmen. Wenn man in Blankenfelde ankommt, wo einen schon die Berufskolleginnen und -kollegen erwarten, dann weiß man, warum man die Fahrt auf dem Schlepper auf sich genommen hat. 

Was motiviert dich Jahr für Jahr für eine andere Landwirtschaftspolitik auf die Straße zu gehen? 

Es geht mir nicht nur um meinen Betrieb. Ich sehe ja, dass alles miteinander zusammenhängt. Wir haben eine komplett falsche Ausrichtung der Agrarpolitik. Ich sehe zwar nicht, dass sich das momentan ändert, aber wir müssen so lange machen, bis sich was ändert. Dazu gehört natürlich, dass man auch demonstrieren geht. Je mehr mitmachen, desto mehr wirkt es. Daher würde ich mir wünschen, dass wir eines Tages mal 40.000, 50.000 oder mehr werden. Dann können wir auch mehr erreichen.

 

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